Auswirkungen von zu wenig oder zu viel Sozialisierung

Disthen

Mitglied
26. Jan. 2009
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Hallo zusammen!

Aufgrund einer aufkommenden Diskussion in einem anderen Thread bezüglich einer der Bemerkung von mir, dass zu viel Sozialisierung viel mühsamer ist zu korrigieren als zu wenig, mache ich hier mal einen eigenen Thread dafür auf.

Ich habe selber einen Hund der von der Züchterin her - nenne es jetzt mal einfachheitshalber - übersozialisiert wurde. D.h. sie machte viel zu viel mit den Welpen, hatte viel zu viel Besuch und die Welpen hatten zu wenig Ruhephasen und waren stets überfordert. Dann habe ich einen Hund mit Toffi der kaum etwas kannte. Für mich war schnell ersichtlich, dass die Auswirkungen eigentlichen die Selben sind. Unsichere, skeptische Hunde mit einer tiefen Reizschwelle.

Dann viel das Thema im anderen Thread noch auf das Deprivationssyndrom. Leider wird dieser Begriff teils sehr schnell gebraucht wie auch der Begriff Burnout. Welpen mit einem Deprivationssyndrom gibt es glücklicherweise wirklich in unserem Land nicht sehr viele. Das sind Welpen, die ohne jeglichen Kontakt zur Aussenwelt in einer puristischen Umgebung ohne Umweltreize ihre ersten Lebenswochen verbrachten und meist zu früh von der Mutter weg kommen. Das Schlimme ist, dass zur Verhaltensforschung (auch für den Humanbereich) extra Welpen so gehalten wurden, was ich echt abartig finde!

Ich durfte selber 3 solche Welpen (Geschwister) während 21/2 Jahren therapeutisch begleiten. Das war für mich eine unglaubliche Erfahrung. Die Ausgangslage für so einen Wuffi ist klar eine Katastrophe. Was aber danach kommt hängt ganz extrem von den Menschen ab und auch vom Charakter und rassespezifischer Veranlagungen.

Der "Vorteil" bei der zu wenigen Sozialisation liegt meiner Erfahrung nach darin, dass man neu aufbauen kann. D.h. es ist alles neu, braucht sehr viel Geduld, Einfühlungsvermögen den Hund ans Leben heran zu führen. Eine Vertrauensbasis aufbauen ist schwierig und eine Mammutaufgabe. Schafft man aber diesen Durchbruch bestehen gute Chancen auch einen solchen Hund durchs Leben führen zu können. Bei einer Übersozialisierung kommt aber erschwerend hinzu, dass der Hund bereits vieles (wie Menschen, Geräusche, Bewegungen, Umgebungen etc.) negativ verknüpft hat. Sprich, man muss eine Korrekturarbeit leisten, was oft schwieriger ist.

Gelingt es einem nicht, so hat man in beiden Fällen einen gestressten, ängstlichen bis aggressiven, nicht umweltverträglichen Hund.

 
Ich habe bis jetzt einen Hund mit Deprivationsschaden kennen gelernt. Ich wünsche wirklich keinem einen solchen Hund. Durch die fehlenden Verknüpfungen in der Prägephase sind sie kaum in der Lage etwas zu lernen.

Ansonsten habe ich beides hier. Arashi und Emmy mit zu wenig Sozialisation und Maya mit zu vielen schlechten Erfahrungen. Es dauerte bzw bei Arashi dauert es noch an, die Sozialisation nach zu holen. Bei Emmy ging es recht schnell, bei Maya knapp 1 Jahr bis sie halbwegs umweltsicher wurde und bei Arashi muss ich sehr viel immer wieder neu beibringen. Er braucht sehr viel Zeit für gewisse "Kleinigkeiten ".

Ich denke, es kommt auch stark auf den Charakter des Hundes drauf an.

 
Ich muss ehrlich zugeben das ich diesen Deprivationsschaden zum ersten mal höhre!

Aber dennoch hatte ich genau so einen Hund.

Lisa wuchs im Berner Oberland im Keller auf, die Mutter wurde mit etwa 4 Wochen entnommen und die Welpen waren sich selbst überlassen, es gab bloss Futter und wenn einer verkauft wurde gabs kurz Besuch. Lisa zog danach in den AG zu einer psychisch kranken Frau, weil der Hund derart ängstlich war und immer reinmachte musste sie im Gartenhäuschen aufwachsen. Es gab Futter und ein Ball zum spielen.

Nachdem Lisa die Besitzerin zweimal gebissen hatte, kam sie ins Tierheim.

Was mich dennoch erstaunte: sie war von Anfang an sehr sozial mit allen Tieren, egal was!

Einfach fremde Menschen, panik, neue Gegenstände, neue Wege, Geräusche, jagte Autos und biss sich zur Stressbewältigung ihren Schwanz blutig. So war Lisa in ihren ersten 3,5 Jahren und dann kam sie zu mir.

Es war eine grandiose, lehrreiche Zeit und ich würde jeder Zeit wieder so einen Hund nehmen- ich bereute nicht einmal eine Minute! Oft wurde mir von Trainern empfohlen den Hund einzuschläfern.

Danke für diesen Thread, dieses Thema ist so spannend und habe wirklich noch nie von dieser Deprivationschäden gehört.

Jetzt weis ich auch was die Tierkommunikatorin ganz zu Beginn mit einem Burnout beim Hund meinte!

 
für mich stellt sich erstmal die frage was ist "zuviel" oder "zuwenig" sozialisation?

ich kenne eine züchterin die tut alles, wirklich alles für und mit ihren welpen. die können autofahren, leinelaufen, gehen auf märkte oder ins EKZ, in kigas, haben hunderte von leuten gesehen bevor sie ihre neuen besi kennen lernen, selbstverständlich auch kinder und werden im wahrsten sinn betüdelt und beschäftigt ohne ende. ob ich das will? wenn es den passenden welpen dabei hat, ok, nehm ich das. ob ich das brauche? ne, definitiv nicht.

meine whippette hat vermutlich bevor ich sie holte nie eine leine oder ein halsband gesehen. war wahrscheinlich nie autofahren, der TA kommt dort in die zucht. sie sah aber viele andere whippets, viele menschen und auch andersrassige hunde. viel mehr aber wahrscheinlich nicht. aber ausser menschen muss mein welpe nicht zwingend was gesehen haben. ich holte sie ja mit 8 wochen da raus und sie folgte mir vom ersten tag an blindlings überallhin und bald orientierte sie sich an nastassja und wurde dadurch zum rudelhund. ich denke, als einzelhund wär sie nicht glücklich geworden, denn sie wuchs mit sehr vielen andern whippets auf.

meine barsois sahen ebenfalls von anfang an menschen, da die züchterin quasi von beginn weg leute zu den babies lässt. die mütter reagieren da auch alle entspannt, denn sie sind ebenfalls sehr extrovertiert, eine eigenschaft die bei dieser rasse eigentlich nicht angedacht ist. autofahren konnten die alle schon, aber ich würd jetzt zu meinem whippet null unterschied feststellen.

was klar ist, die 2m hohe bretterwand in der zucht der barsois ist meiner meinung nach ein hindernis. beide hatten zu beginn vor allen andern rassen angst. die eine floh, die andere war nervenstärker. aber beide haben im sozialverhalten im vergleich zum whippet nachteile, nicht gravierend so dass man im alltag nicht zurechtkäme, aber doch sichtbare. und da ich den direkten vergleich habe zwischen dawn und jendayi weil gleich alt und beide sobald sie bei mir waren, dasselbe erlebten, bin ich der meinung, dass es vor allem zwei dinge für einen welpen braucht: andere hunde (tiere) und menschen aller art.

denn ein welpe der fähig ist bindung zum menschen aufzunehmen, der vertraut ihm auch schneller in dingen, die unbekannt sind. ich musste mit meinen hunden viele dinge nicht machen im welpenalter und wenn dann ein paar jahre später so eine sache auf uns zukam, war das gar kein problem, weil sie einfach gelernt hatten, in neuen situationen sich an ihre menschen zu halten.

ich glaube, zu viel ist so schädlich wie zu wenig und am schädlichsten sind negaive erfahrungen. im zweifel hab ich auch lieber eine erfahrung weniger als eine negative.

 
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Es kommt auch stark darauf an ob der Hund nix kennt und mit 10 Wochen zu erfahreneren Hundeleuten kommt (Chumani) oder wie Harley erst mit 10 Monaten. Dann ist schon viiiel Zeot vergangen und das Thema andere Hunde war und blieb eine Riesenbaustelle.

Chumani hingegen orientierte sich direkt an uns und konnte innert kurzer Zeit viel nachholen.

 
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deswegen find ich abgabalter von 8 wochen ja auch besser als 10 oder gar 12 wochen.

 
Luna wurde falsch sozialisiert (wenn man dies dann so nennen kann). Sie musste früher alles selber regeln, war selten an der Leine, wurde schlecht behandelt, herumgereicht. Wir haben also eine Hündin übernommen die Angst vor anderen Hunden, vor z.T. Menschen (je nach Statur, Kleidung usw.) und diversen Gegenständen wie z.B. Stöcke, Schirme usw. hat. Sie hat über 8 Jahre die Strategie 'Angriff ist die beste Verteidigung' verinnerlicht. Dies nun umzupolen ist eine enorme Herausforderung. Ich glaube dass es 'einfacher' wäre wenn sie jünger wäre und dies alles nicht schon so ein extremer Teil von ihr wäre.

Meine Kollegin eine Hündin übernommen die nicht sozialisiert wurde. Sie kennt sehr wenig, hatte vor vielem Angst. Diese Hündin ist insofern leichter zu händeln als dass man sie nicht umpolen muss sondern sie neu lernen kann/muss. D.h. sie können gemeinsam die Sache angehen und gleich die richtige Strategie erlernen und müssen nicht erst die falsche abtrainieren. Es ist eine grosse Arbeit aber man geht sie mehr gemeinsam an, es braucht Geduld und Verständnis und Zeit.

 
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Balu kam mit 14 Wochen zu uns, lernte in der Zucht alles kennen, inkl. Autofahren etc. War aber der erste Hund meiner Eltern und nicht ganz einfach. Ergebnis war ein aggressiver, knurrender Hund der auch mehrmals zugebissen hat.

Jimmy kam mit 10 Wochen aus einem Ziegenstall, wuchs nur mit den Menschen und den Tieren auf. Total lieber, unkomplizierter und sozialer Hund.

Charlie kam mit 8 Wochen aus einem UPs-Wurf, wuchs im Haus der Familie auf mit Zugang in einen Auslauf mit verschiedenen Unterlagen, Materialien etc. Ist insgesamt ein toller Hund geworden, wäre da nicht sein Drang, mich gegen alles zu beschützen (ist aber mein Fehler).

Max kam mit 12 Wochen, wuchs auf dem Land auf bei einer richtigen Zucht, mit Pferden etc. Ist bis jetzt ein Rassetypischer Hund, der aber panische Angst vor der Strasse hat und unter den Tisch flüchtet, wenn man die Leine holt.

Ich kenne weder das eine, noch das andere Extrem. Allerdings spüre ich manchmal schon ein wenig heraus, dass zuviel Sozialisation nicht immer gut ist. Vor allem, da die Hunde doch eine gewisse Zeit auch einfach noch Hunde sein sollten, und nicht schon mit 10 Wochen Bus fahren oder Kindergarten besuchen müssen (auch schon gehört). Meine Meinung.

 
Ich denke, es kommt auch sehr auf die Rasse und vor allem den individuellen Hund an, ob ein gewisses Mass an Sozialisierung genau richtig ist oder bereits zuviel. Und dann natürlich auch, worauf sozialisiert wird.

Bei einer Hunderasse, die zum Beispiel bekannt für ihr Misstrauen fremden Menschen gegenüber ist, macht es bestimmt Sinn, hier bereits früh eine positive Prägung fremden Menschen gegenüber zu beginnen.

Bei Tabasco war die Sozialisierung wohl zuviel. Er wuchs sowohl mit anderen Hunden, als auch mit Katzen und Pferden auf. Auch Kühe hatte es in direkter Nachbarschaft. Und trotzdem (oder eben gerade deswegen, wer weiss) bereiten ihm alle Tiere Probleme, weil er immer gleich in Stress gerät. Von dem her denke ich, dass gerade Tabasco von weniger Sozialisierung eher profitiert hätte. Auch Menschen lösen in ihm seit jeher Stress aus, wenn auch zum Glück positiver Stress. Im Nachhinein weiss ich genau, dass die vielen Besuche der vielen Menschen den Wurf sehr hochgepusht hatte.

Auch die obligate Autofahrt (zur Augenuntersuchung) im Alter von 7 Wochen war eine sehr stressige Angelegenheit. Das weiss ich, weil ich, zwar nicht auf der Fahrt dabei war, aber bei der Tierklinik mithalf, die kleinen Racker auszuladen und zu beaufsichtigen, während immer ein Welpe untersucht wurde.

Von dem her wäre es mir in Zukunft lieber, wenn ein Züchter nicht zuviel sozialisiert. Wenn mit wesensstarken Eltern gezüchtet wird und der Wurf im normalen Umfang versorgt wird, wird mir das reichen.

 
Spannendes Thema. Es kommt es sehr darauf an, in welchem Alter der Hund zu einem kommt. Und auch was der Hund bis dahin für Erfahrungen gemacht hat. Senta hatte ja auch 2 1/2 Jahre Zeit ihr "Fehlverhalten" zu festigen. Die Arbeit mit ihr ist eine ganz andere und viel schwieriger, als mit einem Hund der gar nichts kennt. Ich hatte vor Jahren aus England einen Jack Russell Rüden geholt, der ausser den Geschwistern, der Züchterin und dem, von einer hohen Mauer umgebenen Garten nichts kannte. Er kam im Alter von 10 (oder 12? sorry ist schon ne weile her) zu mir und aus ihm einen umweltverträglichen Hund zu machen war wesentlich einfacher, als Senta klar zu machen, dass ihre Strategie (wie bei Jovia's Luna) Angriff ist die beste Verteidigung nicht nötig ist.

 
deswegen find ich abgabalter von 8 wochen ja auch besser als 10 oder gar 12 wochen.
Solche Pauschalisierungen finde ich verheerend. Zwischen 8 Wochen und 8 Monaten liegen Welten. ebenso zwischen nichts kennenlernen und völliger Überforderung durch Reizüberflutung. Das Zuviel an "Sozialisierung" kommt häufig auch nach der Übernahme mit dem Mindestalter. Die Besitzer wollen ja die Prägephase nicht verpassen, und schleppen den achtwöchigen Welpen in einem Monsterprogramm überallhin mit. Zumeist lebt der Welpe nun als Einzelhund, und hat nur sehr begrenzten und flüchtigen Hundekontakt. Er verpasst so vieles, was ihm die Hundefamilie noch hätte beibringen können, dafür lernt er Lift fahren mit 9 Wochen....

Ich habe selber GsD weder über- noch untersozialisierte Hunde gehabt. Rhian kam mit 18 Wochen vom Züchter und war einfach nur perfekt im Hündisch, und sehr umweltsicher. Splash kam mit 9 Wochen und kannte viel weniger - ohne Althündin hätte ich ihn nicht so früh übernommen. Aber auch er hatte das Wichtigste gelernt, und die noch mangelhaften hündischen Mores hat ihm Rhian beigebracht.

Aber aus so einzelnen Erfahrungen kann man nix ableiten, da spielt das Wesen insbesondere der Mutter eine grosse Rolle, was man auch berücksichtigen müsste. Bleibt die lapidare erkenntnis, dass man bei der Welpen aufzucht sowohl zuviel wie zuwenig machen kann.....

 
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Tendenziell bin ich auch eher für ein spätere Übernahme des Welpen. Vorausgesetzt, dass er bei einem verantwortungsbewussten und kompetenten Züchter aufgezogen wird. Ich habe jetzt schon einige solcher Hunde erlebt, welche teilweise erst im Junghundealter übernommen wurden und ein sehr stabiles und ausgeglichenes Wesen haben. Vielleicht auch genau, weil sie ihr Vertrauen in sich und die Umwelt in einer für sie vertrauten Umgebung aufbauen durften.
 
Zum Thema Deprivationssyndrom: Dieses kann sich ganz unterschiedlich auswirken und kann nur einige wenige oder viele Bereiche betreffen. Ich habe im Augenblick zum Beispiel einen Kundenhund, welcher als Welpe nur draussen aufgewachsen ist. Für diesen ist nur schon das in der Wohnung sein der blanke Horror. Wenn die Besitzer nicht aufpassen, würde er jedesmal aus der Haustüre stürmen, wenn diese aufgeht. Draussen ist es ihm zwar auch auch nicht ganz geheuer ist, für ihn ist diese aber immer noch weniger schlimm, als drinnen. In der Wohnung selbst hat er sich nur in seiner Box versteckt.
 
Andere Hunde haben evt. nur leichtere Deprivationsschäden, welche sich z.B. darin äussern, dass sie vor Männern Angst haben nicht jedoch vor Frauen - sie sind in der ersten Zeit nur mit Frauen in Kontakt gekommen. Oder sie kommen problemlos auf dem Land zurecht, aber nicht in einer Stadt, weil sie Vieles dort nie kennengelernt haben.

Sehr oft sieht man solche Hunde auch bei den aus den Süden importierten. Sie haben sich an die dortigen Lebensumstände angepasst und müssen nun auf einmal in einer ganz anderen Welt leben. Viele dieser Hunde sind dann oft überfordert und wirken oft, als ob sie Schlimmes erlebt hätten. Das muss nicht zwingend sein, häufig sind sie einfach nur überfordert oder verängstigt vor dem, was sie nicht kennen. 
 
Auch fehlende Sinneseindrücke können zu einer Deprivation führen. Vor einigen Jahren wurde ein Versuch gemacht, bei dem zwei Gruppen von Kätzchen in speziellen Räumen aufgezogen wurden. Der eine Raum besass nur horizontale optische Reize (es wurden also alle vertikalen Linien, Kanten, etc. vermieden), der andere besass ausschliesslich vertikale optische Reize. Als die Katzen erwachsen waren, durften sie in die normale Welt hinaus. Dort stellte man fest, dass Katzen, die in der horizontalen Welt aufgewachsen waren, vertikale Hindernisse wie Stuhl- oder Tischbeine nicht wahrnahmen und deshalb beim Laufen dagegen stiessen. Die Katzen, die in der vertikalen Welt grossgeworden waren, waren nicht dazu zu bewegen, eine Stufe auf ein Podest hinaufzugehen. Auch dies letztendlich eine Deprivation bezogen auf die Wahrnehmung bzw. Verarbeitung von Sinneseindrücken. 
 
Je geringer diese fehlende Sozialisierung ist bzw. auch wie stabiler und mutiger ein Hund ist, desto eher kann eine solche aber auch mit der Zeit und der richtigen Unterstützung überwunden oder zumindest abgeschwächt werden. 
 
Zur inneren Sicherheit der Welpen trägt aber auch eine stabile und sichere Mutterhündin noch einmal viel bei. Hingegegen weiss man, dass eine gestresste Hündin, erst recht, wenn sie dies bereits in der Trächtigkeit ist, auch stressanfälligeren Nachwuchs haben wird. Diese Hunde sind dann auch oft hyperaktiv, nervös und unsicher. 

Aber genauso kann natürlich auch ein Zuviel an Sozialisierung und noch mehr eine völlig falsch angegangene Sozialisierung grossen Schaden anrichten. Genauso wie negative Erlebnisse. Nicht vergebens heisst es deshalb auch: Keine Erfahrung ist genau so schlimm, wie eine schlechte.
 
 
 
Ein tolles Buch zu diesem Thema ist: "Leben will gelernt sein - so helfen Sie Ihrem Hund, Versäumtes wettzumachen (Wibke Hegemann, Birgit Laser)
 
Und hier eine super Seite, die sich ausführlich mit dem Thema "Deprivation" beschäftigt: http://www.angst-hund.de/hp/de/Deprivation 
 
Moni

 
Sehr spannende Diskussion und ein Thema über das ich mir auch immer wieder meine Gedanken mache. Ich denke es wirklich sehr stark vom jeweiligen Hund abhängig. Denn Dinge die hier "verflucht" werden, habe ich mit Cleo durchaus gemacht. Ich habe sie bereits mit 7 Wochen bekommen, dann eine Woche bei meinen Eltern gehabt und dann ging es in die Schweiz. Ab 8 Wochen war sie dann mal ein paar Stunden im Büro, fuhr mit Bus, Zug und Tram, lernte die Bahnhofstrasse und die 10 Kinder in der Nachbarschaft kennen, begleitete mich in Restaurants, Bars usw. Für einen anderen Hund wäre das Programm möglicherweise zuviel gewesen, aber für Cleo passt es. Ich hatte dabei nicht den Anspruch sie übermässig gut zu sozialisieren, sondern habe sie einfach dahin mitgenommen, wo ich sowieso hinging.

Persönlich kann ich auch nicht sagen was schlimmer ist. Heute würde ich mir aber bei der Übernahme eines Welpen wahrscheinlich auch mehr Gedanken machen, bei Cleo war das einfach selbstverständlich, ich wusste noch zu wenig und der Schuss hätte durchaus nach hinten losgehen können.

@Moni danke für den buchtipp, kommt auf meine Liste ;)

 
Mein Ares war ja so gut wie gar nicht sozialisiert.. er war zwar 1 1/2 Jahre alt und hat mit diversen Hunden zusammengewohnt aber trotzdem kam er mir so vor wie: "ich weiss nicht wie ich mich verhalten soll"
Mittlerweile kann er es ganz gut mit Hunden, er kommuniziert auch ( vorher war die Hundesprache eine Fremdsprache für ihn) viel besser und genauer.
Er ist aber trotzdem eher ein unsicherer Hund mit Tendenz zum Vorwärtsgehen wenn er sich nicht mehr zu helfen weiss ( was zum Glück nur noch sehr selten vorkommt)
Im Ganzen bin ich eigentlich sehr zufrieden mit meinem Bullymann!

 
 Das Zuviel an "Sozialisierung" kommt häufig auch nach der Übernahme mit dem Mindestalter. Die Besitzer wollen ja die Prägephase nicht verpassen, und schleppen den achtwöchigen Welpen in einem Monsterprogramm überallhin mit. Zumeist lebt der Welpe nun als Einzelhund, und hat nur sehr begrenzten und flüchtigen Hundekontakt. Er verpasst so vieles, was ihm die Hundefamilie noch hätte beibringen können, dafür lernt er Lift fahren mit 9 Wochen....
Genau das ist bei einer Bekannten passiert. Sie hatten einen ja soooo süssen Mini-Jack-Russel-Welpe (gibts das überhaupt Mini? war auf jeden fall von einem "Züchter" in Italien....). Ueberall war er dabei, z.b. auch wenn der Sohn Fussball spielte, dann wurde er von allen Kindern betatscht, wie ein Bebe auf den Arm genommen, etc.. Ja, und eines Tages, als Hundi grösser wurde, hatte er plötzlich Panik vor allem und jedem. Lies sich nicht mehr anfassen, wollte nicht mehr laufen gehen, etc...! Laut ihrer Aussage, war es ganz klar ihr Fehler, eben Uebersozialisierung. Ich habe sie nun schon länger nicht mehr gesehen und weiss nicht wie es jetzt geht und ob sie den Hund überhaupt noch haben.....!  :?   

 
Ich denke auch dass es sehr stark vom Hund selber abhängt was er daraus macht. Ich kenne einen Border Collie, der fast bis 1 Jahr alleine im Stall lebte; seine einzige Beschäftigung war es Blätter zu jagen. Und er war direkt im neuen Daheim ein recht unkomplizierter Bursche, fuhr vom ersten Tag an Zug mit der neuen Besitzerin, hatte kein Problem mit Menschen oder anderen Tieren...

Zudem spielt wie oben beschrieben die Mutter eine grosse Rolle! In einem Versuch haben sie einer unsicheren Hündin ihre Welpen genommen und sie einer sicheren Mutter untergeschoben; und umgekehrt. Die Welpen der sicheren Hündin blieben recht cool und die Welpen der unsicheren blieben dies leider ebenfalls. Schüchternheit ist in der Natur ein Vorteil. Die vorwitzigeren Wesen kommen viel schneller in Bedrängnis, weil sie zu unvorsichtig sind. Deshalb wird die Scheuheit dominant vererbt! (meines Wissens habe ich diesen Versuch im Buch "liebst du mich auch" gelesen)

liebst_du_mich_auch.jpg


Auch Harley kannte ja ausser einem Cockerrudel eigentlich nichts. Der kam bis ich ihn holte mit 10 Mt wohl fast nur in den Garten zum Versäubern. Er hatte keinerlei Muskulatur, war übergewichtig usw. Ich hab ihn am Freitag geholt und am Samstag sind wir 5 Stunden Zug gefahren. Der Hund lag einfach auf dem Rücken und hat geschnarcht... Andere Hunde waren jedoch Baustelle... Als er das erste Mal einen grossen Hund gesehen hat, ist

der mir fast ausgeflippt, der hat richtig geschäumt und die Zähne gefletscht :roll:  . Seine Mutter war/ist aber eine sehr ruhige und gutmütige, so wie sichere Hündin.

Chumani hingegen habe ich seit sie 9.5 Wochen alt ist. Sie kannte wohl nicht viel, denn sobald bei uns auf dem Gehweg ein Auto vorbeigefahren ist, hat sie losgepinkelt usw. Die war immer am Tänzeln wie ein Araberpferd und hatte einen Schwanz in der Form eines Fleischerhakens. Nicht ganz eingeklemmt, aber viel hätte nicht gefehlt. Mit ihr habe ich ein dosiertes Sozialisierungsprogramm gemacht... Kleine Kinder haben wir eh grad zur Genüge in der Verwandtschaft, Hunde hatte sie bisher nur gute Kontakte, Restaurantbesuche, usw. Ich habe aber bei beiden keine Checkliste abgearbeitet. Im Gegenteil. Eine Station Busfahren ging bei mir unter ÖV-fahren *check.

Und trotzdem ist sie ein unsicheres Hundi geblieben.Taucht ein Jogger am Horizont auf schlägt sie an, wenn sie ein Geräusch hört, das sie nicht zuordnen kann ebenfalls. Ihr Umgang damit hat sich aber geändert. Meist gibt sie einmal kurz an und kommt dann zu mir und guckt mich an.

Bei ihr war aber die Mutter schon ein guter Wächter und nicht soo sicher (aber sehr lieb :) ). Wir managen es also gut, aber ihr Charakter bleibt ihr Charakter...

Falls ich im nächsten Jahr auf die Idee kommen sollte mit ihnen Seilbahn zu fahren, bereitet mir das aber kein Bauchweh. Wenn mir ein Hund vertraut, wird er auch da einfach einsteigen ;) .

 
ich hab mit Sookie einen Hund, der die ersten 4 bis 5 Monate absolut nichts kennengelernt hat. Sie war in einem Käfig eingesperrt mit ihren Geschwistern und anderen Hunden. Als ich sie übernommen hab war sie extrem schüchtern, hat sich von niemandem anfassen lassen, hatte Angst vor allem und ich mein wirklich allem. Mülleimer, Laub auf dem Boden, Autos, ... . Einzig mit Hunden hatte sie überhaupt keine Probleme. Und trotz meines enormen Aufwands, sie an Dinge heranzuführen und sie langsam zu sozialisieren, hat sie bis heute grosse Defizite. Sie ist nun bald 3 Jahre alt. Sie lässt sich noch immer sehr sehr ungerne von Menschen anfassen, vor allem Männern, ist sehr schüchtern und bei gewissen Dingen immer noch ängstlich. Natürlich ist es viel viel besser geworden und sie meistert den Alltag eigentlich gut und wir gehen erfolgreich im Hundesport da sie unglaublich schnell lernt. Aber die Defizite werden wohl immer bleiben. Ich glaube schon, dass es bei ihr auch zum Teil angeboren ist, denn ich kenn andere Hunde mit ähnlichem Hintergrund, die mit weit weniger Sozialisierung wesentlich selbstbewuster und sicherer geworden sind.

 
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